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Letzte Aktualisierung: 15.10.2006
Wir sind alle Türken
Das ist sicherlich ein Satz, der fast jeder Glatze das stoppelnd sprießende Resthaar kraus schlägt. Und doch ist ja - kulturgeschichtlich betrachtet - etwas dran. Eine ganze Menge sogar. Schwören wir nicht Stein und Bein auf unser humanistisches Erziehungs- und Bildungsideal? Zeugt nicht die Gegenwart altsprachlicher Gymnasien immer noch davon, wo die Wurzeln unseres Denkens und Fühlens liegen? Richtig. Bei den ollen Römern und vor allem bei den noch olleren Griechen. Letztere aber haben ihre kulturellen Wurzeln eben auch in dem Landstrich, den wir heute Türkei nennen.
Tja, liebe Glatzen: wirklich dumm gelaufen. Aber Troja beispielsweise ist weder eine Erfindung des mitunter spinnerten Kriegsgewinnlers Schliemann, noch liegt es nicht in der Türkei, sondern eben genau dort. Als die dummen ollen Griechen Troja in Schutt und Asche gelegt hatten, war es auch mit ihrer Hochkultur vorbei. Es fand ein regelrechter Zivilisationsbruch statt, bekannt als das dunkle Zeitalter. Türken zu klatschen hat sich für die Griechen beileibe nicht ausgezahlt (wobei das natürlich auch keine Rechtfertigung böte fürs Türkenklatschen).

Rekonstruktion des Südtors Trojas.
Na ja, letztlich könnte man diesen mit vor Stolz geschwellter Brust in Bomberjacken daher schwadronierenden Kahlköpfen sicherlich auch ins Stammbuch schreiben: Genau genommen sind wir alle Afrikaner. Dort unten im Süden finden sich die frühesten Spuren des Menschen moderner Prägung. Merk Dir das, Adolf. Setzen. Hehehe.
Wie auch immer. Mich fasziniert, wie es heute gelingt, den Menschen von früher auf die Spur zu kommen. Mich fasziniert, was es dabei alles zu entdecken gibt. Ganz banale Erkenntnisse: Früher waren die Menschen nicht dümmer als heute. Sie hatten nur nicht immer die Möglichkeiten, ihre Visionen Wirklichkeit werden zu lassen. Heute haben wir mehr Möglichkeiten, und doch stoßen wir weiter auf Grenzen. Solche Grenzen wurden bereits vor Tausenden von Jahren verrückt. Ich denke an die Pyramiden von Gizeh, denke an die chinesische Mauer. Die Cheopspyramide ist Tausende Jahre alt, aber bis heute das vom Volumen her größte, je von Menschenhand errichtete Bauwerk. Die Chinesische Mauer (auch uralt) ist bis heute von der Ausdehnung her das größte Bauwerk. Derartige Leistungen sollten uns Hightech-Schnösel Demut leeren, also auf den Teppich holen - und den haben auch nicht die Germanen erfunden. Hehehe.
Selten sind die Leistungen der Menschen früherer Tage noch offen sichtbar. Troja beispielsweise war vom Staub der Geschichte bedeckt. Den erst einmal beiseite geschafft, kam eine imposante Festung zurück ans Tageslicht. Ich habe am Fuß dieser gewaltigen Stadtmauern gestanden: Penibel gelegtes Mauerwerk, die Reste noch heute zehn Meter hoch, etwa 3500 Jahre alt. Ich habe in Rom die Überreste des Palastes von Kaiser Augustus gesehen. Als wir Germanen noch in Erdlöchern hausten, wurde dort mehrgeschossig gebaut. Ich hab die Marmorintarsien als Wandschmuck gesehen, die wirken, als hätte Kandinsky sie gemalt. In Rom war ich in den Caracalla-Thermen, einer 2000 Jahre alten öffentlichen Badeanstalt für mehrere Tausend Menschen mit gefliesten Böden, Fußbodenheizung, Dampfbad, Sauna, Schwimmbad und allem Schickimicki. Wohl gemerkt: Damals gab es keine Erdgasleitungen, Ölpipelines oder Strom.
Mich beeindruckt es, wie Menschen mit ihren - verglichen mit heute - beschränkten Möglichkeiten solche Leistungen vollbringen, ein so gewaltiges Weltreich schaffen konnten, wie es beispielsweise das römische Imperium war. Die konnten sich ja nicht ins Auto setzen und mal eben über den Brenner huschen. Spanien erobert, den Balkan erobert, Griechenland und Türkei sowieso, eigentlich alles rund ums Mittelmeer. Aber eben auch Teile der Britischen Inseln und - nördlich der Alpen - große Gebiete dessen, was wir heute Deutschland nennen.
Ein Gemetzel, das wir als Varus-Schlacht kennen, soll dem römischen Expansionsdrang nach Norden ein Ende bereitet haben. Der Schauplatz liegt (auch wenn der letzte wissenschaftliche Beweis dafür noch aussteht) eine gute Autostunde von der Stadt entfernt, in der ich wohne. Seit Jahrhunderten werden in einem sehr eng begrenzten Gebiet nordöstlich Osnabrücks Funde aus römischer Zeit gemacht. Und eben genau aus jener Zeit, in der Sich die Varus-Schlacht den historischen Quellen zufolge zugetragen haben soll. Erst seit zwölf oder dreizehn Jahren aber untersuchen Archäologen diesen Platz systematisch. Inzwischen sind sich die Fachleute einig, das erste Schlachtfeld aus der Zeit der Antike überhaupt auszugraben.
Kultmaske eines hochrangigen
römischen Offiziers, die
in Kalkriese gefunden worden ist.
Mich fasziniert, was ausgegraben wird, wie die Funde untersucht und bewertet werden und welche Schlußfolgerungen man daraus noch heute ziehen kann. So läßt sich aus den unter der Erde verbliebenen und nicht verrotteten Überresten noch 2000 Jahre später eine Vielzahl an Informationen darüber gewinnen, wer dort einst bei Kalkriese den Engpaß zwischen Mittelgebirge und Moor passiert hat. Fest steht bis heute: Es waren römische Soldaten, und zwar genau jener drei Legionen, die den Quellen zufolge in besagter Varus-Schlacht von Germanen vernichtet worden sein sollen. Es waren aber nicht nur Soldaten vor Ort, sondern auch sie begleitendes Hilfspersonal: Söldner, Ärzte, Handwerker jedweder Art, wohl auch Frauen und Kinder. Nicht nur das läßt sich noch heute aus den Funden ablesen: Es hat Kämpfe gegeben, wie Verletzungen an gefundenen Schädeln grausig belegen. Verendete Maultiere wurden gefunden. Die Kadaver von Mensch und Tiere lagen nach der Schlacht jahrelang unter freiem Himmel, bis die Gebeine schließlich zusammen gerafft und eilig in Gruben verscharrt wurden. So sagen es die Quellen, und so bezeugt es auch die heutige Fundlage. Die Wissenschaft ist heute sogar in der Lage nachzuweisen, wie sich einige der getöteten Individuen ernährt haben. Gefunden wurde auch eine mehrere hundert Meter lange Wallanlage, aus deren sicherem Schutz heraus die Germanen die vorbei marschierenden Römer angegriffen haben.
Viele Funde oder Entdeckungen in der Archäologie werden heute aber gar nicht mehr mit dem Spaten gemacht. Etliches wird vom Flugzeug aus per Luftbildaufnahme entdeckt. Da verbergen sich unter der Erdoberfläche Dinge, die der Betrachter vom Boden aus mit bloßem Auge nicht wahrnehmen kann. Aber vom Flugzeug aus können sie plötzlich sichtbar werden. Die verborgenen Dinge im Boden sorgen für Veränderungen des Bewuchses an der Oberfläche. Da wächst das Korn an einer Stelle nicht so hoch (oder aber höher) wie in der Umgebung, oder es reift später (oder früher) als in der Umgebung. Je nach Vegetationsperiode oder Sonnenstand zeichnen sich plötzlich in Wiesen und Feldern Dinge ab: längst verschüttete Gräben, verborgene Hausfundamente, Gruben, ganze Siedlungen, frühzeitliche Acker- und Wegesysteme, Friedhöfe, Burgen, Wallanlagen, Lagerplätze.

Im Bewuchs eines Feldes zeichnen sich eine
Grabenanlage und eine Grube ab, die vom
Boden aus nicht sichtbar gewesen wäre.
Den Einstieg in ein überaus interessantes, kurzweiliges Hobby bieten vielleicht folgene Links:
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